Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Tourismus in Gambia

Interview mit Adamah Bah, Tourismusexperte des Institute of Travel and Tourism of The Gambia

Adamah Bah ist Vorstandsvorsitzender des Institute of Travel and Tourism of The Gambia. Das Institut wurde 2008 gegründet und hat sich auf praxisbezogene Schulungen hauptsächlich im Reise- und Tourismussektor spezialisiert. Sein Anliegen ist es, verantwortungsvolle Geschäftspraktiken zu implementieren, um nachhaltigen Tourismus in Gambia zu fördern, zu unterstützen und umzusetzen. Um dies zu erreichen, arbeitet das Institut mit verschiedenen Partnern zusammen.

Adamah Bah, können Sie kurz die aktuelle Situation in Gambia aufgrund der Corona-Pandemie beschreiben – generell und speziell im Tourismus?

Das Corona-Virus hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft von Gambia. Mit einer schwachen wirtschaftlichen Basis und der Notwendigkeit, praktisch alles zu importieren, ist die gambische Wirtschaft stark vom Tourismus abhängig, der etwa 20 % des BIP ausmacht. COVID-19 folgt auf den jüngsten Zusammenbruch eines der größten Reiseveranstalter Gambias, Thomas Cook. Ohne den Tourismus, der einer der größten Arbeitgeber und Devisenbringer ist, vergrößert sich die Armut der gambischen Bevölkerung. Die Kosten für Konsumgüter wie Reis, Zucker und andere Dinge des täglichen Bedarfs steigen aufgrund der Inflation, die hauptsächlich durch den hohen Wechselkurs des gambischen Dalasi zu anderen ausländischen Währungen verursacht wird. Die meisten kleinen Unternehmen, die vom Tourismus abhängig sind, wie Handwerksbetriebe, Reiseführer*innen, Taxifahrer*innen, Restaurants und Bars usw. sind nicht in Betrieb, was das Leben für Kleinunternehmer*innen und diejenigen, die im informellen Sektor arbeiten, sehr schwierig macht.

Welche Strategien und Initiativen im Tourismus gibt es, um einerseits die Krise zu meistern und andererseits den Tourismus „nach Corona“ aufzubauen? Wie sehen die „Überlebensstrategien“ – seitens der Regierung, seitens der Gemeinden und Gemeinschaften – aus?

Wie wir erfahren haben, arbeitet die Regierung von Gambia an einer neuen Politik, die den Schwerpunkt auf den Inlandstourismus legt und auch den innerafrikanischen Reiseverkehr berücksichtigt. Außerdem wird mehr Wert auf die Entwicklung des Kulturtourismus gelegt. Wir warten auf die Details dieser Politik und die Strategien zur Umsetzung der Empfehlungen.

Der Privatsektor hat Forderungen an die Regierung gestellt, die ein Moratorium für die Zahlung von Krediten und Zinsen beinhalten, ebenso den Verzicht auf die Zahlung von Steuern, Lizenzen und Abgaben sowie die Unterstützung bei der Zahlung von Gehältern für acht Monate u.ä.m. Soweit mir bekannt ist, hat die Regierung 100 Millionen Dalasis (Anm.: etwa 1,6 Mio. Euro) für Tourismus- und Kulturunternehmen bereitgestellt und das UNDP (United Nations Development Programme) hat Gehälter von bis zu 50 Dollar für Angestellte in diesem Sektor übernommen.

Der Privatsektor hat außerdem die Absicht, einen Verband zu gründen, um gemeinsam mit einer Stimme zu sprechen und eine proaktivere Rolle für die Nachhaltigkeit der Tourismusindustrie zu übernehmen, anstatt sich bei zukünftigen Krisen nur auf die Regierung zu verlassen. In dieser Hinsicht wurde die Tourism Federation of The Gambia (TofGam) gegründet und ich wurde zu ihrem Berater ernannt, insbesondere im Bereich des nachhaltigen Tourismus.

Von Seiten der Gemeinden werden mehr berufsbezogene Kurse und Schulungen zur Unternehmensführung angeboten, die von der Regierung, zivilgesellschaftlichen Organisationen und internationalen Gebern wie der EU finanziert werden. Es gibt auch ein Projekt mit dem Namen TEKKIFI (Mach es hier!), das jungen Menschen die Finanzierung von Start-ups ermöglicht, und sie so ermutigt, hier zu bleiben und sich ein Geschäft aufzubauen, anstatt den „Hinterausgang“ (Anm.: gemeint ist die Migration) zu nehmen. Auf der anderen Seite habe ich beobachtet, dass es mehr junge Menschen gibt, die an Straßenecken Drogen verkaufen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Es gab „vor Corona“ Initiativen und Projekte im Bereich nachhaltiger Tourismus. Wie stehen sie aktuell da, wie kommen sie durch die Krise? Wie resilient ist der Tourismus in Gambia?

Wir sind dabei, eine gemeinnützige Organisation mit dem Namen „Ninki-Nanka Encounters“ zu gründen, die vor allem die am Ninki-Nanka Trail beteiligten Gemeinden unterstützen soll. Dieser Trail ist eine neue Initiative für verantwortungsvollen Tourismus in Gambia. Der Pfad zielt darauf ab, den wirtschaftlichen Nutzen auf ländliche Gebiete zu verteilen, Gambias Tourismusprodukt zu diversifizieren, indem er neue, authentische gemeindebasierte und kulturgeschichtliche Erlebnisse bietet, die auf dem ungenutzten Potenzial des Gambia-Flusses aufbauen, und damit Möglichkeiten für den Tourismus zu schaffen, die bis in die Nebensaison hineinreichen.

Eines der größten Probleme des Tourismus in Gambia ist die Saisonabhängigkeit. Diese resultiert aus der übermäßigen Abhängigkeit von einigen wenigen Reiseveranstaltern, die nur während der sechsmonatigen Tourismussaison, d.h. von November bis April, Tourist*innen ins Land bringen. Die Ausrichtung der Reiseveranstalter auf Sonnenurlaub im Winter hat zu einer aufgezwungenen „Saison“ geführt, die es für sie profitabler macht, andere Ziele kürzer anzufliegen. Die Wirtschaftlichkeit von Charterflügen bedeutet, dass es für ausländische Reiseveranstalter profitabler ist, ihre Flugzeuge während des europäischen Sommers ans Mittelmeer zu fliegen als auf den 12 Stunden langen Hin- und Rückflug nach Gambia zu schicken. Wenn Europäer*innen für ein kulturelles Erlebnis nach Asien fliegen können, können sie sicherlich auch für ein afrikanisches Kulturerlebnis nach Gambia kommen (das näher liegt). Das Problem ist, dass wir unser Produkt nicht vom Winter-Sonnenurlaub diversifiziert haben.

Wir sind der Überzeugung, dass der Trail das ist, was Gambia als Reiseziel einzigartig macht. Beim Verkauf von Massentourismus an der Küste stehen wir im Wettbewerb mit vielen Destinationen und der Massentourismus wird als Produkt immer weniger attraktiv. Alle Studien haben gezeigt, dass die Nachfrage nach Reisen, die nachhaltige Erlebnisse fördern, stark zunimmt, und Gambia mit seinem Fluss und seinen kulturellen Angeboten ist dafür bestens aufgestellt. Daran gibt es keinen Zweifel.

Wie wird der Tourismus in Gambia (und Senegal) „nach Corona“ aussehen? Wie war die Situation vor der Pandemie, was wird sich durch die Pandemie verändern? Welche Chancen sehen Sie für die Stärkung eines nachhaltigen Tourismus in Ihrem Land? Wird es stärker in Richtung Nachhaltigkeit gehen?

Ich hoffe es. Das muss die Destination entscheiden. Ich für meinen Teil und die Partner, mit denen ich zusammenarbeite, werden weiterhin Projekte wie den Ninkinanka-Trail unterstützen, fördern und auch umsetzen; Projekte, die ihren Beitrag zu einer Transformation des Tourismus hin zu einem besseren Tourismus leisten, der Gambia zu einem besseren Ort zum Leben und zu einem besseren Ort zum Besuchen machen wird. Aber wir können es nicht alleine schaffen, wir brauchen die Unterstützung der Regierung und des privaten Sektors und wir hoffen, dass die anderen sich uns anschließen werden. Veränderungen sind nicht einfach, vor allem für diejenigen im privaten Sektor, die sich auf ein solches Produkt stützen. Wir sagen nicht, dass sie sich nicht weiterhin auf das verlassen sollen, was sie am besten kennen, aber was wir sagen, ist, dass wir andere Formen des Tourismus brauchen, die nachhaltig sind, damit die Destination wachsen kann.

Stichwort Migration: Kann der Tourismus den (jungen) Menschen eine Zukunftsperspektive geben? Wie? Was passiert diesbezüglich in Gambia?

Meiner Meinung nach sollte sich kein Land vollständig auf den Tourismus verlassen. Der Tourismus sollte eine Ergänzung sein, um unsere Wirtschaft durch die guten Vernetzungen, die er bietet, zu stärken. Wir sind eine landwirtschaftlich geprägte Wirtschaft, über 70 % unserer Bevölkerung leben in ländlichen Gebieten und die meisten von ihnen sind in der einen oder anderen Form in der Landwirtschaft tätig, aber hauptsächlich vom Niederschlag abhängig.

Der Tourismus wird immer mehr zu einem riskanten Geschäft für uns: jüngste Epidemien wie Ebola und jetzt diese Pandemie; mögliche wirtschaftliche Pleiten wie aktuell die von Thomas Cook; der Klimawandel und die Kampagne für lokalen Tourismus; soziale Themen, wie Berichte über pädophile Taten, die hauptsächlich von westlichen Ländern ausgehen, und so weiter. Diese Herausforderungen schaffen ein unsicheres touristisches Umfeld, das unsere ohnehin fragile Volkswirtschaft und das soziale Gefüge unserer Gesellschaften in vielerlei Hinsicht beeinträchtigt.

Das ist der Grund, warum wir nach Strategien suchen müssen, die unseren Tourismus in etwas Nachhaltiges umwandeln, indem wir die negativen Auswirkungen minimieren; gleichzeitig müssen wir eine Wirtschaft entwickeln, die unsere landwirtschaftliche Produktion als Basis für die Ernährungssicherheit und den Export von Fertigprodukten mit hohem Mehrwert nutzt. Wenn wir die Landwirtschaft mit dem Tourismus verknüpfen, indem wir dafür sorgen, dass die Touristen vor Ort essen, trinken und einkaufen, und außerdem die Landwirtschaft durch die Verknüpfung mit der industriellen Produktion aufwerten, werden viele junge Menschen auf diese Weise Arbeit finden. Sie müssen dann nicht mehr den riskanten „Hinterausgang“ durch die Wüste Sahara oder das Mittelmeer nach Europa nehmen.

Was wären aus Ihrer Sicht die wichtigsten Schritte für die Etablierung eines nachhaltigen, resilienten Tourismus in Gambia? Welche Akteure sind gefordert? Welche Rolle sollte/kann Europa spielen?

Da die touristische Wertschöpfungskette sehr komplex ist, brauchen wir für einen nachhaltigen Tourismus die Unterstützung aller Akteur*innen. Wir brauchen vor allem die richtige Politik der Regierung und wir brauchen einen privaten Sektor, der sich seiner Verantwortung für sein eigenes Geschäft und für die Destination bewusst ist. Die Akteur*innen des privaten Tourismussektors müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie ihr Geschäft verlieren, wenn die Destination ihren Ruf verliert.

Das Interview führte Cornelia Kühhas von der NaturFreunde Internationale im Januar 2021.