NaturFreunde im Widerstand gegen den Nationalsozialismus

von Bruno Klaus Lampasiak

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Und sperrt ihr in Zuchthaus und Mauern uns ein,
Glaubt ihr, ihr zwingt uns damit nieder?
Fast sieht es so aus, es hat auch den Schein,
Doch glaubt mir, einst kehren wir wieder!
Berg frei1

Als der Genosse Gottfried Wiedemann, ein Gründungsmitglied der Ortsgruppe Heidenheim, 1934 in das Gefängnis von Ulm eingesperrt wurde, fand er diese Worte eingeritzt in seine Kerkerzelle. Der Autor des Verses hat den Lauf der Geschichte richtig vorausgesagt. Die Naturfreunde wurden zwar während der NS-Gewaltherrschaft verboten, hunderte Mitglieder in Konzentrationslager, Zuchthäuser und Gefängnisse eingesperrt, viele ermordet. Doch der Glaube an Werte und Grundsätze der Naturfreunde führte zu einer Wiederauferstehung dieses internationalen Kulturwerks und seiner ewig jungen Ideale.

Widerstand gegen ein Gewaltregime verläuft meist lautlos und ohne Hinterlassen von schriftlichen Aufzeichnungen, er wird von Einzelnen oder kleinen Gruppen ausgeübt; deshalb wird es wohl nie eine vollständige Darstellung des Widerstandes von Naturfreunden gegen den Nationalsozialismus geben.

Die meisten Naturfreunde haben Widerstand nicht in ihrer Eigenschaft als Mitglieder der Naturfreunde, sondern als Mitglieder und Funktionäre von politischen Parteien oder ihrer Jugendorganisationen geleistet. In den Ortsgruppen fanden sich Mitglieder vieler – auch gegensätzlicher – politischer Richtungen. Die Naturfreunde waren, in ihrer großen Mehrheit, standhafte Gegner von Kriegspolitik und faschistischer Diktatur. Es gab aber auch solche, die sich dem neuen System anpassten.

Sofort nach der Machtübernahme verboten die Nationalsozialisten auch die Naturfreunde. So wurden zwischen 1933 bis 1943 die Organisationen in Deutschland, Österreich, der Tschechoslowakei, Polen, Belgien, Holland, Frankreich, Ungarn sowie in Danzig aufgelöst. Davon betroffen waren 200.000 Mitglieder sowie das gesamte Vermögen des Vereins einschließlich der 416 Naturfreundehäuser. Um die Naturfreunde Internationale zu retten, hatte der Generalsekretär Leopold Happisch die österreichischen Behörden bereits am 20. Februar 1934 darüber unterrichtet, dass der Sitz der Gesamtorganisation nach Zürich verlegt worden sei. Damit hatte er die Grundlage dafür geschaffen, dass der Schweizer Naturfreund Walter Escher das Geldvermögen der Naturfreunde in Wien abheben und nach Zürich bringen konnte.2 Leopold Happisch wurde für neun Monate inhaftiert, ebenso Paul Richter, der damalige Präsident unserer Organisation. Ein Teil des Archivs der Naturfreunde Internationale kam, unter dem Tender einer Kohlenlokomotive versteckt, in die Schweiz.

In allen betroffenen Mitgliedsländern hat ein kleiner, aber nicht unbeträchtlicher Teil der Naturfreunde und der Naturfreundejugend Widerstand gegen den Nationalsozialismus geleistet. Widerstand gegen ein Gewaltregime bedeutet, sich der Konsequenzen einer Entdeckung bewusst zu sein. Trotzdem haben Naturfreunde, vor allem in Österreich, Sachsen und der Tschechoslowakei gefährdete Naturfreunde und Mitglieder anderer Organisationen in Sicherheit gebracht und versorgt. Die internationale Zeitschrift „Der Naturfreund“ und verbotene Bücher und Schriften wurden über die Grenzen transportiert. Zahlreiche Mitglieder konnten sich durch den Anschluss an andere Vereine oder bei spontanen Zusammenkünften und Wanderungen weiterhin treffen. Durch ihre Mitarbeit im Widerstand gegen den Nationalsozialismus sind viele Naturfreunde in die Hände der Hitlerjustiz geraten.

Es gibt keinen vollständigen Überblick über die Verurteilungen von Naturfreunden, nur wenige Angaben liegen vor:

  • Aus dem Landesverband Baden wurden verurteilt: 84 Mitglieder zu 14 Jahren Konzentrationslager, 66 Jahren und 10 Monaten Zuchthaus und zu 56 Jahren Gefängnis. Vier Genossen starben in Konzentrationslagern, zwei im Zuchthaus, zwei wurden hingerichtet. 22 weitere Mitglieder erhielten Strafen, deren Höhe nicht bekannt ist.
  • Aus dem Landesverband Württemberg wurden verurteilt: 239 Mitglieder zu insgesamt 485 Jahren Konzentrationslager, Zuchthaus oder Gefängnis. 16 Genossen sind in der Haft gestorben oder wurden hingerichtet.
  • Aus dem Landesverband Hessen wurden verurteilt: 110 Mitglieder, von denen 40 im Konzentrationlager und 70 im Gefängnis saßen. Im Konzentrationslager sind sieben gestorben, vier wurden hingerichtet.
  • Aus dem Saarland wurden verurteilt: 25 Mitglieder, von denen zehn im Konzentrationslager und 15 im Gefängnis saßen.3

Aus dem Landesverband Sachsen wurden sowohl Mitglieder der Naturfreunde als auch Mitglieder der Naturfreunde-Opposition aus den Vereinigten Kletterabteilungen (VKA)4 verurteilt: Mehr als 200 ehemalige Mitglieder wurden verfolgt, inhaftiert oder ermordet. 80 Mitglieder der Naturfreunde-Opposition mussten ihre antifaschistische Arbeit mit langjährigen Inhaftierungen in Gefängnissen, Zuchthäusern, Konzentrationslagern bezahlen. Mehr als 20 Naturfreunde wurden hingerichtet.5

Die Naturfreunde Internationale hatte verantwortungsvolle Aufgaben zu erfüllen. Der Schweizer Naturfreund Ernst Moser übernahm die Präsidentschaft der internationalen Naturfreundegemeinschaft. Mit großem Geschick und leidenschaftlicher Verbundenheit konnte er mit Hilfe der schweizerischen und der amerikanischen Naturfreunde die Naturfreundebewegung über die Kriegszeit retten und sogar noch den Wiederaufbau mitgestalten. Die Naturfreunde und ihr Präsident hatten in dieser Zeit der Bedrängnis das Glück, von zwei großen Naturfreunde-Persönlichkeiten begleitet zu werden, von Walter Escher und Albert Georgi-Bader.

Ernst Moser, 1892 in Winterthur geboren, war Zentralpräsident des Schweizerischen Textil-und Facharbeiter-Verbandes und von 1930 bis 1947 Mitglied des Nationalrats, dem Schweizer Parlament. Walter Escher aus Zürich war langjähriger Vertreter der Schweiz in der Naturfreunde Internationale und Vizepräsident. Für den Fall eines Verbotes der Organisation war er zum Verwalter des Vermögens der NFI bestimmt worden. Sofort nach dem Verbot der Naturfreunde in Österreich gelang es ihm, das Geldvermögen der Naturfreunde Internationale in Wien abzuheben und nach Zürich zu bringen. Dafür wurde er später in Österreich und Deutschland steckbrieflich gesucht. Viele Naturfreunde haben ihm wertvolle Dokumente des Vereins zur sicheren Aufbewahrung übergeben.

Der unermüdliche Einsatz des Schweizer Naturfreundevorsitzenden Albert Georgi-Bader, geboren in Sachsen, war eine entscheidende Voraussetzung für das Weiterbestehen der Naturfreunde Internationale. Er wurde in der Schweiz zunächst nicht eingebürgert, weil in Schweizer Zeitungen behauptet wurde, dass die Naturfreunde bekanntlich unter kommunistischem Einfluss stünden.

Nach 1943 bildeten nur noch die Schweiz und die USA den alten Weltverein Naturfreunde:

Verbot der Naturfreunde-Organisationen 1933–19456

    Mitglieder Häuser
Deutschland bis 1933 60.000 220
Österreich bis 1934 90.000 100
Tschechoslowakei bis 1938 8.000 30
Polen bis 1939 1.500 2
Belgien bis 1940 6.000 10
Holland bis 1940 11.000 16
Frankreich bis 1940 6.000 30
Ungarn bis 1943 1.600 8
       
Weiter bestanden lediglich      
Schweiz   13.000 75
Amerika   1.700 10

Einzige Verbindung zwischen den alten und jungen, den bestehenden und verbotenen Naturfreunde-Organisationen, den Naturfreunden im Exil und im Gefängnis war die Zeitschrift der Naturfreunde Internationale, „Der Naturfreund“, die von Albert Georgi-Bader gestaltet wurde. Bei dem heutigen Stand der Technik können wir kaum ermessen, welche Bedeutung diese Zeitschrift hatte. Sie war die Seele der internationalen Naturfreundegemeinschaft. In einer Zeit der Sprachlosigkeit, des Krieges, des Infernos konnte mit der Zeitschrift „Der Naturfreund“ gezeigt werden: Wir sind noch da, wir leben noch! Vielfach wurde unter Lebensgefahr die geliebte Zeitschrift über die Grenzen gebracht. Trotz ständig vorhandener Geldsorgen konnte dieses wichtige Informationsblatt weiter erscheinen.

Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 traf die Naturfreunde-Zentrale besonders schwer. Es war abzusehen, dass bald weitere Länder durch die deutsche Wehrmacht besetzt würden und es war nicht auszuschließen, dass die Hitlerarmeen auch in die Schweiz einmarschieren könnten.

Ernst Moser hat im Naturfreund 1940 die folgende Stellungnahme abgegeben:

Tausende unserer Freunde, unserer jungen Wandergenossen stehen unter den Fahnen ihres Vaterlandes: im schweren Dienst, wo ein bitteres Muß entscheidet. An der französischen Front sind viele unserer Mitglieder. Und auf der anderen Seite des Rheins ist sicher mancher ehemalige Naturfreund, dessen Herz noch für die gemeinsame Idee schlägt. In Belgien, Holland, in der Schweiz und anderswo rief der Wille zur Wahrung der Neutralität auch viele Freunde zu den Waffen. […] An uns Zurückgebliebenen ist es, allerorts das Naturfreundebanner hochzuhalten. Wir alle wollen den Krieg überdauern, um dann um so mehr wirken zu können für wahre Völkerverständigung, für demokratische Volksrechte – und aber noch mehr für die soziale Ausgestaltung der Verhältnisse. […] So bergen Zeit und Zukunft den weiten Rahmen für die wahre und gesinnungsmäßige Naturfreunde-Arbeit.7

Als sich 1944 der Zusammenbruch des Nationalsozialismus abzeichnete, hat Ernst Moser, gemeinsam mit Walter Escher und Albert Georgi-Bader, sofort die Kontakte zu den alten, neuen Naturfreunde-Organisationen wieder aufgenommen. Er hatte mit Schweizer Freunden dafür gesorgt, dass die über viele Jahrzehnte aufgebauten freundschaftlichen Verbindungen zu den Naturfreunden in den anderen Ländern nie vollständig abgerissen sind. Sie alle haben mitgeholfen, nach 1945 die Kontakte zwischen den wiedergegründeten Organisationen zu erneuern und die Wiederzusammenführung aller Naturfreunde in der Naturfreunde Internationale ermöglicht.

Es war nur verständlich, dass es trotz zahlreicher Kontakte zunächst starke Bedenken gegen eine Wiederaufnahme der deutschen Naturfreunde gab. Vor allem dem Präsidenten Ernst Moser und dem Vizepräsidenten Franz Winterer aus Österreich ist es zu verdanken, dass diese Vorbehalte überwunden werden konnten und dank der solidarischen Haltung der internationalen Naturfreundevertreter Deutschland wieder in die Naturfreunde Internationale zurückkehren konnte.

Bruno Klaus Lampasiak
NaturFreunde Berlin

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch "Naturfreund sein heißt Mensch sein" (2013) von Bruno Klaus Lampasiak.

1 Sechzig Jahre Touristenverein „Die Naturfreunde“. Denkschrift zum sechzigjährigen Bestehen 1895–1955, Zürich 1955, S. 154.
2 Schügerl, Gerhard: Tradition und Fortschritt. 80 Jahre Naturfreunde Österreich. Wien 1975, S. 115.
3 Sechzig Jahre Touristenverein „Die Naturfreunde“. Denkschrift zum sechzigjährigen Bestehen 1895–1955, Zürich 1955, S. 154.
4 1930 wurden die Vereinigten Kletterabteilungen (VKA) wegen zu starker kommunistischer Arbeit von der Reichsleitung des TVDN aufgelöst. Die Mitglieder der VKA nannten sich in der Folge Naturfreunde-Opposition (VKA).
5 Schindler, Joachim: Rote Bergsteiger – Wahrheit und Legende, in Grüner Weg 31a, Nr. 50 Jahrgang 2000, S. 17 f.
6 Birkert, Emil: Von der Idee zur Tat. Naturfreunde Württemberg 1970, S. 46.
7 Der Naturfreund, März 1940, Heft 1/3, S. 3.