Offener Brief deutscher Umweltverbände zur Reform des Gemeinnützigkeitsrechts

"Eine engagierte und kritische Zivilgesellschaft kann unsere Demokratie nicht verteidigen und stärken, wenn sie von der Abgabenordnung zu politischer Enthaltsamkeit gezwungen wird"

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) plant eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts. Weil diese Reform die Freiheit gemeinnütziger Organisationen weiter einschränken würde, haben neun Umweltschutzorganisationen einen offenen Brief verfasst, der hier in voller Länge dokumentiert wird:

Sehr geehrter Herr Bundesminister,

mit großer Sorge haben wir von Plänen Ihres Hauses zur Änderung der Abgabenordnung gehört, wonach gemeinnützige Organisationen sogar ihre eigenen Zwecke nur noch weit nachrangig mit politischen Mitteln verfolgen dürfen. Damit wäre die Freiheit gemeinnütziger Organisationen beschränkt, ihre Mittel frei zu wählen. Dabei gehört die Beeinflussung der politischen Willensbildung und die Mitgestaltung der öffentlichen Meinung zu den wirkungsvollsten Methoden gemeinnütziger Organisationen zur Verfolgung ihrer Zwecke. In Folge einer solchen Änderung würden dutzende gemeinnützige Organisationen, die politische Zwecke wie die Förderung des Umweltschutzes, der Völkerverständigung oder des Verbraucherschutzes zum Ziel haben, gezwungen sein, ihre Arbeit massiv einzuschränken oder den Verlust ihrer Gemeinnützigkeit zu riskieren und von wichtigen Finanzierungsquellen abgeschnitten werden.

Für Umweltverbände wäre eine solche Einschränkung besonders schwierig. Denn wie soll ein Umweltverband beispielsweise den Ausbau von Radwegen oder des öffentlichen Nahverkehrs – beides unzweifelhaft wichtig für den bestehenden Zweck des Umweltschutzes sowie des geplanten neuen Zwecks des Klimaschutzes – erreichen, wenn nicht mit politischen Mitteln? Sie können ja nicht selber Radwege bauen oder Busse betreiben. Und wie sollten sie den zügigen Ausstieg aus der Kohleenergie oder die Ausweisung von Naturschutzgebieten voranbringen? Während man in Bezug auf den Naturschutz noch Schutzgebiete selber pflegen, Nistkästen anbringen und Kröten über die Straße tragen kann, liegt es beim Umwelt- wie auch beim Klimaschutz in der Natur der Sache, dass diese unzweifelhaft gemeinnützigen Zwecke ganz überwiegend politisch zu realisieren sind.

So hat denn auch der Bundesfinanzhof bereits 2017 im Fall des BUND Hamburg geurteilt, dass „der Umweltschutz durch staatliche Maßnahmen in besonders wirksamer Weise gefördert werden kann“ und dass politische Äußerungen, solange sie parteipolitisch neutral bleiben, der Gemeinnützigkeit nicht grundsätzlich im Wege stehen. Zudem führt der BFH aus, dass bei der Beurteilung der zulässigen Mittel der Zweckverfolgung berücksichtigt werden muss, dass es sich beim Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen um einen Zweck handelt, den der Verfassungsgeber in Art. 20a des Grundgesetzes mit einer eigenen Staatszielbestimmung über viele andere Zwecke der Abgabenordnung gehoben hat. Ferner hält der BFH fest, dass eine gemeinnützige Körperschaft „die von ihr verfolgten Zwecke auch einseitig vertreten, in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen und in ihrer subjektiven Abwägung höher als andere Ziele gewichten“ darf, weil die endgültige Abwägung und Entscheidung nicht der Körperschaft, sondern dem politischen Entscheidungsträger obliegt.

Wir appellieren daher an Sie, im Rahmen der Gesetzesnovelle klarzustellen, dass gemeinnützige Zwecke auch überwiegend oder sogar ausschließlich mit politischen Mitteln verfolgt werden dürfen und diese nicht nur „weit im Hintergrund“ im Vergleich zu anderen Mitteln stehen dürfen.

Wichtig bleibt dabei selbstverständlich die Abgrenzung zu Parteien. Hier sind aus unserer Sicht folgende Trennlinien sinnvoll und unstrittig:

  • Gemeinnützige Organisationen haben nicht den Zweck, bei Wahlen anzutreten, Abgeordnete zu stellen und Regierungsmehrheiten zu erlangen.
  • Gemeinnützige Organisationen dürfen zwar politisch, aber nicht parteipolitisch sein. Sie dürfen also weder eine Partei finanziell fördern (anders als dies viele Berufsverbände tun, die ebenfalls steuerlich begünstigt sind), noch explizit zur Wahl einer bestimmten Partei aufrufen.

Darüber hinaus bitten wir Sie um Klarstellung, dass gemeinnützige Organisationen untergeordnet auch zu anderen gemeinnützigen Zwecken aktiv sein dürfen. Schon heute darf beispielsweise ein Sportverband eine Anti-Rassismus-Demonstration mitfinanzieren, indem er Mittel an einen anderen gemeinnützigen Verein weitergibt. Er darf aber nicht dazu aufrufen – ein Widerspruch, der nicht zu vermitteln ist. Eine solche Form der freien Meinungsäußerung sollte auch gemeinnützigen Organisationen gestattet sein. Meist wird so etwas zwar nicht vom örtlichen Finanzamt bemängelt. Allerdings muss es hier Rechtssicherheit geben, und eine so grundlegende Frage kann daher nicht in die Entscheidungsverantwortung einzelner Finanzämter gelegt werden.

Das zivilgesellschaftliche Engagement für eine lebendige Demokratie ist derzeit so wichtig wie vermutlich noch nie seit Gründung der Bundesrepublik. Daher ist es fatal, dass die bereits bestehende Rechtsunsicherheit durch das Attac-Urteil weiter verstärkt wurde, indem z.B. der Zweck „allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens“ und die „politische Bildung“ weiter eingeschränkt wurden – beides zentrale Bausteine für das Engagement gegen Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft. Wir bitten Sie daher, diese beiden Rechtsbegriffe in der Abgabenordnung oder im Anwendungserlass zu klären.

Das Engagement für unsere freiheitliche Demokratie und die Werte unseres Grundgesetzes sollten eine Selbstverständlichkeit sein – keine Organisation darf deswegen den Verlust der Gemeinnützigkeit fürchten müssen.

Zugleich sprechen wir uns aus nachfolgenden Gründen gegen die Einführung der Kategorie einer politischen Körperschaft für Organisationen aus, die sich zur Erreichung ihrer Zwecke überwiegend politisch engagieren:

  • Es wäre einer Demokratie unwürdig, politische Betätigung und Gemeinnützigkeit als Gegensatz zu konstruieren (siehe auch die „Charta für Zivilgesellschaft und Demokratie“ der großen Dachverbände wie DNR, Deutscher Kulturrat und Deutscher Olympischer Sportbund).
  • Organisationen, die ihre Zwecke zu einem relevanten Teil politisch verfolgen, würden gezwungen, sich zu entscheiden, ob sie politisch oder gemeinnützig sind. Doch die meisten Umwelt- und Naturschutzverbände machen eben weder ausschließlich praktischen Naturschutz, noch sind sie ausschließlich politisch aktiv.
  • Diese unsachgemäße Trennung zwischen politischen und gemeinnützigen Aktivitäten würde die Zivilgesellschaft spalten und den Druck auf gemeinnützige Organisationen erhöhen, ihr politisches Engagement weiter einzuschränken.
  • Organisationen, die gezwungen wären, sich für den Status der politischen Körperschaft zu entscheiden, wären von der Finanzierung durch staatliche Fördermittel und Stiftungsgelder sowie von Kooperationen mit Bündnispartnern abgeschnitten, was für einige Organisationen existenzbedrohend sein könnte.
  • Aber auch gemeinnützige Stiftungen wären in ihren Aktivitäten massiv eingeschränkt, weil sie entsprechende Organisationen nicht mehr fördern könnten, da sie aufgrund der voraussichtlich schlechteren Behandlung von Großspenden bei politischen Körperschaften kaum politische Stiftungen werden können.

Sehr geehrter Herr Bundesminister, das Attac-Urteil hat die Debatte um die Zukunft der Gemeinnützigkeit eröffnet. Durch die jetzt im Raum stehenden Reformvorschläge des BMF würde weder die bestehende Rechtsunsicherheit beseitigt, noch der Spielraum für gemeinnützige Organisationen erweitert. Im Gegenteil: Die Vorschläge laufen auf eine weitere Einschränkung des Handlungsspielraums von gemeinnützigen Organisationen hinaus. Eine engagierte und kritische Zivilgesellschaft kann unsere Demokratie jedoch nicht verteidigen und stärken, wenn sie von der Abgabenordnung zu politischer Enthaltsamkeit gezwungen wird. Gerne würden wir uns über diese und weitere Punkte zeitnah auch in einem persönlichen Gespräch mit Ihnen austauschen.

Mit freundlichen Grüßen

Olaf Bandt, Vorsitzender BUND
Prof. Dr. Kai Niebert, Präsident DNR
Sascha-Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer DUH
Silvie Kreibihl, Vorsitzende Germanwatch
Michael Müller, Vorsitzender NaturFreunde Deutschlands
Carolin Ritter, Geschäftsführerin, VCD
Roland Hipp, Geschäftsführer Greenpeace Deutschland
Ernst-Christoph Stolper, Sprecher des Leitungskreises Forum Umwelt & Entwicklung
Martin Bauhof, Kaufmännische Geschäftsführung Umweltinstitut München e.V.