„Wir lassen nicht zu, dass Arbeit gegen Umwelt ausgespielt wird“

Auftaktrede von Michael Müller, Bundesvorsitzender der NaturFreunde Deutschlands, zur Großdemonstration "Wald retten! Kohle stoppen!" am Hambacher Wald

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Von Erich Kästner stammt der Satz: „Es geht auf keinen Fall so weiter, wenn es so weiter geht.“ Ja, es darf nicht sein, dass wir künftig sagen müssen: Wir wussten, dass der Mensch den Klimawandel verursacht, aber wir haben nicht gehandelt. Es darf nicht sein, dass das Klima alles verändert, aber nicht das verantwortungslose Denken der Menschheit, vor allem in Politik und Wirtschaft.

Deshalb sind wir hier. Wir wollen die Kette der Dummheit und Verantwortungslosigkeit beenden.

Wir begrüßen das gestrige Urteil zum vorläufigen Rodungsstopp im Hambacher Wald. Dieses Urteil hat jedoch nicht die Politik erreicht, schon gar nicht die Wirtschaft, die nun über fallende Börsenkurse klagt, statt über ihre eigene Dummheit. Es war der BUND, der das erreicht hat und wir sagen alle Danke dafür.

Aber wir wissen auch, die Schlacht gegen Profitgier, gegen Egoismus und Verantwortungslosigkeit ist noch lange nicht vorbei. Eine lange Wegstrecke liegt vor uns.

Es geht hier um sehr viel mehr als den Hambacher Wald. Es geht um die Frage, ob wir die ökologische Selbstvernichtung der Menschheit verhindern können – oder nicht.

Die Menschheit ist heute in einen Abschnitt eingetreten, für den es in unserer Geschichte kein Entsprechen gibt. In den letzten fünf Jahrzehnten ist die Umweltzerstörung eskaliert. Deshalb geht es nun um das Notwendige und nicht nur um das scheinbar Mögliche.

Wir wollen das fossile Zeitalter nicht aus Willkür beenden, sondern weil es unsere Verantwortung ist. Und wir wollen nicht nur den Kohleausstieg, sondern auch raus aus Öl und Gas.

In vier von neun Dimensionen überschreitet die Menschheit bereits planetarische Grenzen, die für unser Leben entscheidend sind. Durch Wetterextreme wie Dürren und den Zusammenbruch landwirtschaftlicher Systeme sind heute bereits mehr Menschen auf der Flucht als durch Krieg. Aber wir erzeugen immer neue Gewalt.

Selbst die pessimistischsten Szenarien des Weltklimarates werden übertroffen und auch in Deutschland steigen die Kohlendioxid-Emissionen wieder an. Die Welt steuert auf einen Kipppunkt zu, nach dem auch die größten Anstrengungen kommender Generationen nicht ausreichen werden, um immer mehr Wetterextreme, Ernährungskrisen und die Zerstörung der biologischen Vielfalt zu verhindern.

Das Schlimme aber ist, dass die Folgen dieser Verantwortungslosigkeit auf dramatisch ungerechte Weise auf die armen Weltregionen und künftige Generationen verteilt sind.

Mit dem vom Menschen verursachten Klimawandel erzeugen wir also eine Gewalt, die wir endlich stoppen müssen! Deshalb sind wir hier und deshalb werden wir weitermachen.

Wir leben nicht nur in einer Epoche der Globalisierung der Umweltschäden: Es ist auch eine Epoche der Doppelbödigkeit und Ignoranz. Tatsache ist: Seit Beginn der öffentlichen Debatte über den Klimawandel Ende der 1980er-Jahre haben sich die Kohlendioxid-Emissionen verdoppelt.

Schluss jetzt mit den Ausreden! Es ist falsch, dass die deutsche Industrie von der Braunkohle abhängig ist. Tatsächlich geht es um Gewinninteressen der deutschen Verbundwirtschaft. Und die Politik versagt.

Warum fordert keine der Bundestagsparteien ein milliardenschweres Programm für einen regionalen und sektoralen Strukturwandel? Nicht nur hier, sondern auch in der Lausitz und im Mitteldeutschen Kohlerevier.

Wir kämpfen dafür, dass endlich das Notwendige getan wird und nicht nur das scheinbar Mögliche. Es geht schlicht um das Überleben der Menschheit. Wir dürfen die Gesetze der Natur nicht länger ignorieren. Es geht auch nicht um irgendeinen Deal. Es geht um das schnelle Aussteigen aus den fossilen Brennstoffen.

Wir sagen: Schluss mit der bedingungslosen Ausrichtung auf wirtschaftliches Wachstum, mit dem alles begründet wird – auch die Zerstörung der Natur. Der Kapitalismus und die fossilen Energieträger haben schon zu lange eine unheilvolle Einheit gebildet.

Niemand von uns will Deindustrialisierung und Arbeitslosigkeit. Aber wir lassen nicht zu, dass Arbeit gegen Umwelt ausgespielt wird.

Wir kämpfen dafür, soziale und ökologische Gerechtigkeit zu verbinden. Nur dann haben alle eine gute Zukunft.