Der ökologische Schatten von Skitouren

Skitourengeher
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Das Skibergsteigen ist ein Megatrend und wird gerne einem nachhaltigen Lebensstil zugeordnet. Allerdings sorgen immer mehr Tourengeher auch für immer mehr Stress in der alpinen Natur. Deshalb informieren Bergsportverbände wie die NaturFreunde über das Problem. Doch: Viele Skitourengeher sind überhaupt nicht organisiert.

Welcher Skitourengeher weiß denn schon, dass sich Schnee- und Birkhühner gern in Kammnähe an Nord- und Osthängen eingraben? Dass ihre Schneehöhlen nur wenige Zentimeter unter der Oberfläche liegen? Dass sie sich schnell erschrecken und dann talwärts flüchten?

Vermutlich die wenigsten. Während Kartenstudium und Ausrüstungscheck, Wetterprognose und Lawinenlagebericht zur unbedingten Vorbereitung einer Skitour gehören, ist der Naturschutz eher selten Thema. Das ist irritierend, weil das Skitourengehen gerne einem nachhaltigen Lebensstil zugeordnet wird: keine Abhängigkeit von Aufstiegsanlagen und Schneekanonen, stattdessen gesundheitsbewusst, sozial und entschleunigt, zurück zum Ursprung des Skisports, zurück zur Natur.

JETZT AUCH NOCH WILD SCHÜTZEN? Beim Rotwild ist die Problemlage ähnlich wie bei den Rauhfußhühnern und doch wieder ganz anders: Hirschkühe und Hirsche überwintern aufgrund der zunehmenden Besiedelung schon lange nicht mehr im voralpinen Flachland und fressen im winterlichen Bergwald mangels Alternative insbesondere Rinde. Verbiss- und Schälschäden können Forste aber derart lichten, dass Lawinen und Muren ein leichteres Spiel haben. Wird nun das Rotwild genauso wie Rehe und Gämsen immer häufiger gestört, verbraucht es mehr Energie, muss mehr fressen und schädigt noch mehr Wald. Das Problem wird weiter verschärft durch im Wald abfahrende Skifahrer und Snowboarder, deren Kanten junge Bäume schwer verletzen können.

Hunderttausende Sportler finden das mittlerweile richtig gut. Ging der Deutsche Alpenverein (DAV) im Jahr 2004 noch von rund 250.000 bis 300.000 Skitourengehern in Deutschland aus, sprach er 2012 schon von 300.000 Aktiven allein im Großraum München. Dort wurden 2013 auch erstmals mehr Touren- als Alpinski verkauft. Für Österreich liegen Schätzungen bei mittlerweile 700.000 Sportlern. Auch wenn exakte Zahlen fehlen, weil Skitourengeher keinen Skipass brauchen und eher selten organisiert sind: Skitouren sind ein Megatrend im Bergsport, und alle Prognosen sagen weiteres Wachstum voraus.

Skitouren für Nachtschwärmer
Für die Natur im Hochgebirge ist diese Entwicklung eine neue Herausforderung. Denn die Hochlagen sind nur oberflächlich ein riesiger Freizeitpark. In erster Linie sind es ökologisch hochsensible Areale, die durch Tourismus, Klimawandel und Artensterben schon lange unter Druck stehen. Das Birkhuhn zum Beispiel ist streng geschützt: Der deutsche Bestand wird auf nur noch 2.000 Tiere geschätzt, 90 Prozent davon leben im Bereich der alpinen Baumgrenze.

Ein plötzlich davonflatterndes Birkhuhn ist interessantes Naturschauspiel. Für den Vogel aus der fasanenartigen Unterfamilie der Rauhfußhühner ist es aber purer Stress, der seine Energiereserven angreift. Wird er im Winter öfter gestört, kann er diese nicht mehr ausgleichen, wird schwächer, ist ein leichteres Ziel für Feinde und legt weniger Eier.

Problematisch für die alpine Natur sind aber nicht nur die massiv gesteigerten Aktionsradien und -frequenzen des Menschen. Immer mehr Skitourengeher steigen auch bei Dunkelheit auf: „Skitouren für Nachtschwärmer“ oder „Mondscheintouren“ sind echte Renner. Zwar beschränkt sich dieses Phänomen meist auf Skigebiete. Auch konnten Konflikte mit der Seilbahnwirtschaft, in denen es um die Präparierung der Pisten ging, an vielen Orten gelöst werden. Doch die Lichtkegel unzähliger Stirnlampen stressen das Wild nun auch noch nachts.

„Für Wildtiere bedeutet das immer weniger Rückzugsraum“, sagt Manfred Scheuermann vom DAV. Der Naturschutzfachmann befasst sich schon seit gut zwei Jahrzehnten mit dem Thema umweltfreundliche Skitouren. Gemeinsam mit bayerischen Umweltbehörden und vielen Interessensgruppen, darunter auch den NaturFreunden, hat der DAV 180 Tourenberge mit etwa 500 naturverträglichen Routen und Varianten ausgewiesen, neue Karten aufgelegt sowie Hinweisschilder angebracht. 225 Schongebiete, die Tourengeher und Freerider meiden sollten, gehören dazu. Das Projekt setzt nicht auf Verbote, sondern auf die freiwillige Einsicht der Sportler. Scheuermann hat da eine Gruppe besonders im Auge: „Wichtig ist, die Einheimischen zu gewinnen, sie legen die ersten Spuren an.“

Wären nicht auch die Hersteller von Tourenausrüstungen in der Pflicht, die am Skitourenboom gerade kräftig mitverdienen? Schließlich brauchen alle Tourengeher eine Ausrüstung, während nur ein Bruchteil der Sportler in Vereinen organisiert ist. Zum Beispiel könnte eine Infobroschüre jedem Tourenset beigelegt werden. Doch: Die großen Marketingbudgets fließen eher in die Imagewerbung als in die Umweltbildung.

„Wir legen großen Wert auf die Vorbildfunktion unserer Trainer C – Skitouren und Trainer B – Skihochtouren“, erklärt Günther Leicht, Bundesausbildungsleiter Bergsport, den Ansatz der NaturFreunde Deutschlands. „Der Naturschutz ist ein zentraler Bestandteil unserer Ausbildung. Wenn Trainer und Tourenführer ökologische Zusammenhänge erklären und vorleben, wie man seinen Sport naturverträglich ausüben kann, hat das mehr Wirkung als das beste Informationsmaterial.“

Samuel Lehmberg
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in NATURFREUNDiN 4-2014.